Arbeitskreis bekennender Christen

7. ABC-Versammlung – 2005

7. ABC-Versammlung

um Bekenntnis, Erneuerung und Einheit der Kirche

 30. Januar 2005 – Nürnberg

Aus Liebe die Wahrheit bekennen

Erklärung

 

Als Delegierte der 7. VERSAMMLUNG aus bekennenden Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und zahlreicher ihrer innerkirchlichen Gemeinschaften, die im Arbeitskreis Bekennender Christen in Bayern (ABC) verbunden sind, erklären wir:

I. Was wir als unseren Auftrag sehen

 

1. Wir lieben unsere Kirche als die Kirche ihres Herrn. Trotz erheblicher Beschwernisse sehen wir in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern unseren Platz und arbeiten auf vielfältige Weise in ihr mit. Ihr sehen wir das Geheimnis des Glaubens an den dreieinigen Gott aufgrund ihrer auf Gottes Wort bezogenen Bekenntnisse und wegen der Verpflichtung aller in ihr Dienenden auf Schrift und Bekenntnis in besonderem Maße anvertraut.

2. Wir sind besorgt um unsere Kirche, die ihres Auftrages ungewiss zu sein scheint. Gefährdet, im Gefälle der Zeit geistlich träge zu werden, hört sie weder entschieden auf ihre Berufung, noch nimmt sie ihre Sendung an die Welt angesichts deren besonderen Herausforderungen genügend bewusst wahr. Der Mangel an spiritueller und gesellschaftsdiakonischer Kraft erklärt sich aus dem Mangel an Vertrauen in Gottes Kraft aus seinem Wort. So sehen wir die gebotene und ermöglichte Kühnheit des Glaubens weithin schwinden.

3. Wir ringen um Bekenntnis, Erneuerung und Einheit unserer Kirche und rufen allen Verantwortlichen und Mitarbeitenden in allen ihren Dienstbereichen, Arbeitsfeldern und auf allen Leitungsebenen zur „Konfirmation der Kirche“ zu:

 

Kämpfe den guten Kampf des Glaubens,

ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen …

Bewahre, was dir anvertraut ist!“

(l Tim 6,12 u.20a)

und: „Bekenne aus Liebe die Wahrheit!“ (nach Eph 4,15).

II. Was uns Sorge bereitet:

 

l. Die missverstandene Liebe

Echte Liebe (1Petr 1,22) ist zu allen Zeiten Wesensmerkmal und Lebensäußerung wahrer Kirche, Geduld (Gal 5,22) eine ihrer schönsten Früchte. Es ist wahr: Liebe in der Nachfolge Jesu nimmt den Sünder geduldig liebend an. Es ist aber ebenso wahr: Liebe hilft die Sünde überwinden (Joh 8,11). Daraus folgt heilige Unduldsamkeit als ebenso gebotene Frucht der Liebe. In Konsequenz der mangelnden Unterscheidungsklarheit versagt die Kirche auf dem Bewährungsfeld christlicher Ethik weithin:

1.1. Während sich die evangelische Kirche in den Pionierjahren des Umweltschutzes an die Spitze der Bewegung gestellt hatte, um „Schöpfung“ bewahren zu helfen, schweigt sie weitgehend zur fortschreitenden „Innen-Welt-Zerstörung“ (s. l.4.). Diese hat vielfältige Ursachen, u.a. die gewinnsüchtige Herrschaft von Medien über Menschen. Die evangelische Kirche versäumt es, gegen den massenhaften gottlosen „Schmuddel“ in Medien deutlichen und nachdrücklichen Einspruch zu erheben. Das entspräche ihrem prophetischen Auftrag. Und sie versäumt die Fürsorge für ihre eigenen Glieder, die sie orientierungslos lässt.

1.2.  Während sich die evangelische Kirche in den Jahren der Industriellen Revolution ins Gewissen rufen ließ: „Die Liebe ist dein wie der Glaube“ (Wichern, 1848) und entschlossen zu karitativem Handeln aufbrach, verkennt sie heute die Dramatik des Bindungsverlustes der Menschen und des Zusammenbrechens der Familie und verkennt damit die zerstörerische Auswirkung auf die nachwachsende Generation und ihre Zukunft. Auf die beklagenswerte Erziehungskatastrophe als Ausdruck der Familienkatastrophe gibt sie keine angemessene Antwort.

1.3.  Während sich die evangelische Kirche ihrem Auftrag gemäß oft zur Anwältin für bedrängte Minderheiten macht, versagte bis heute besonders die bayerische Landeskirche angesichts der Massentötung von täglich ca. 1.000 ungeborenen Menschen im Mutterleib. Mit den offenen Formulierungen ihrer sogenannten Rosenheimer Erklärung (1991) hat sie wesentlich zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Deutschland beigetragen. In der Gesellschaft sanken Hemmschwellen und Unrechtsbewusstsein. Abtreibungszahlen stiegen. Pränatale Diagnostik und Genom-Analyse sowie weiter steigende Abtreibungszahlen stellen die Kirche erneut vor die Aufgabe von Gottes Gebot her der Gesellschaft Orientierung zu geben.

1.4. Angesichts eines vorgelegten Antidiskriminierungsgesetzes könnten in einer ethisch indifferenten Bewusstseinslage in unserem Land die Grundlagen der Gesellschaft wie Ehe und Treue, Familie und Verlässlichkeit, Freiheit und Verantwortung nicht mehr konsensfähig sein. Für sie aus Glaubensgründen einzutreten, wird Opfer fordern. Dem dürfen Christen nicht ausweichen, sondern haben eine von Gott gegebene Verantwortung für die Menschlichkeit der Gesellschaft und für das Recht. Wir verkennen nicht Anstrengungen unserer Kirche etwa in der gegenwärtigen Gentechnologie-Debatte, Werte zu verteidigen, und die anhaltende Treue auf vielen Feldern praktischer Diakonie unter erschwerten Bedingungen. Durch ihr duldsames Schweigen zu den genannten ethischen Hauptherausforderungen der Zeit macht sie sich jedoch schuldig an den orientierungslosen und trendverfallenen Menschen. Sie verspielt dabei ihre Autorität, auf Werte zu verpflichten.

 

2. Die missachtete Wahrheit

 

Der Wahrheit der Heiligen Schrift verpflichtet zu sein, ist eine Frage der Liebe (1Joh 1,6). Christus selbst ist die Wahrheit (Joh 14,6), die allein berechtigt, mit dem heiligen und lebendigen Gott, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt ist, Gemeinschaft zu finden. Sie ist kein verschlossenes Geheimwissen, sondern ist den Glaubenden offenbart. Nach lutherischem Verständnis sind diese aufgefordert, die Lehre der Kirche an der offenbaren Wahrheit zu prüfen. Wahrheit ist Frucht des Geistes (Eph 5,9) und unerlässlich für ein gottgewollt heiliges Leben (Joh 17,19). Wahrheit ist der Kirche mit der Verpflichtung zur Weitergabe anvertraut (Mt 28,20). In ihrer Unsicherheit jedoch, sich an Wahrheit zu binden, veruntreut die gegenwärtige Kirche den anvertrauten Schatz und fördert indirekt den vorherrschenden Relativismus, dessen Credo lautet: „Es gibt keine Wahrheit außer der, dass es keine gibt.“

2. l. In der evangelischen Kirche setzten sich inzwischen die Grundsätze säkularer Demokratie nach den Regeln des üblichen Parlamentarismus durch. Verloren gegangen ist weithin das Bewusstsein, dass Kirchenleitung nur geistlich geschehen kann. Aber das prophetische Wort stellt unter die Prüfung: „Ich habe ihnen keinen Auftrag gegeben, und doch reden sie in meinem Namen. Hätten sie wirklich in meinem Rat gestanden, so würden sie mein Volk … von seinem bösen Wandel und seinem gottlosen Tun zur Umkehr bringen“ (Jer 23,21 ff).

2.2. Im Festhalten an der Wahrheit und im Ringen um Erkenntnis der Wahrheit – verbindlich hörend auf die Heilige Schrift – liegt für Kirchenleitung aller Zeiten der Weg geistlicher Leitung der Kirche. Unter der Voraussetzung des postmodernen Relativismus wird heute die Frage nach der Wahrheit in freundlichen, aber unverbindlichen Gesprächsprozessen als unziemliches Ansinnen zurückgewiesen. Eine „Sowohl-als-auch-Haltung“ der Kirche (z.B. Fürther Erklärung 1993) aber hat in Grundfragen des Glaubens wie der Ethik die gesamte Dogmengeschichte gegen sich (K. Beyschlag).

2.3 Die Evangelisch-Lutherische Kirche weiß sich verfassungsmäßig gebunden, dass sie „mit der ganzen Christenheit unter dem Auftrag“ steht, „Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen“ und daran, dass „diesem Auftrag… auch ihr Recht und ihre Ordnungen zu dienen“ haben (Grundartikel / KVerf). Sie versäumt es aber hartnäckig, ihr Berufungs- und Sendungsprofil zu schärfen und Prioritäten und Posterioritäten nach Gottes Willen zu klären. Wir erinnern an unzureichende Versuche in dieser Richtung:

– 1992: „Positionspapier des Landeskirchenrates“ löst eine Welle von Widersprüchen aus.

– 1997: „Perspektiven und Schwerpunkte kirchlichen Handelns“ bleibt in soziologischen Denkstrukturen stecken.

– 2001: Die „Prioritäten- und Posterioritätenkommission“ stellt ergebnislos ihre sechsjährige Arbeit ein.

– 2004: Die theologisch profilierte „Kirchliche Lebensordnung“ wird abgelöst, die weithin theologisch diffusen „Leitlinien kirchlichen Lebens“ werden, wenn auch ohne Verbindlichkeit, übernommen.

Wir verkennen nicht den Wert der Achtung unterschiedlicher Denkweisen und der Freund­lichkeit auch im Umgang mit Kritikern. Jedoch versäumt die Kirche deutlich der Wahrheit zu dienen angesichts der Unverbindlichkeit und Umtriebigkeit einer postmodernen „verspassten“ Gesellschaft in ihrer Orientierungskrise; damit droht die Orientierungskrise auch der Gemeinde und ihren Gliedern. Ohne diesen Dienst jedoch verlässt unsere Kirche leichtfertig die Gemeinschaft der Ökumene.

3. Die untreue Kirche

Die Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern beschreibt keine Vision von Kirche oder ein unerreichbares Ideal, sondern schlicht ihren von Gott gegebenen Beruf:

(1) „Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat die Aufgabe, Sorge zu tragen für den Dienst am Evangelium von Jesus Christus in Wort und Sakrament, für die geschwisterliche Gemeinschaft im Gebet und in der Nachfolge Jesu Christi, für die Ausrichtung des Missionsauftrages, für das Zeugnis in der Öffentlichkeit, für den Dienst der helfenden Liebe und der christlichen Erziehung und Bildung.

(2) Alle Kirchenmitglieder … tragen die Verantwortung für die rechte Lehre und für die zeit- und sachgemäße Erfüllung des Auftrages der Kirche. „(KVerf Art. l)

 

Fehlerhaftigkeit in der Erfüllung von Aufgaben ist nicht auszuschließen. Die gute Haushalterschaft „der mancherlei Gnade Gottes“ (1Petr 4,10; vgl. ecclesia semper reformanda) verlangt deshalb Nachprüfung und Korrektur als immer währenden geistlichen Prozess.

Wir stellen fest: Gemessen an der Aufgabenbeschreibung der Kirchenverfassung bleibt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern in ihrer gegenwärtigen Gestalt in wesentlichen Lebensbereichen weit hinter ihrem Auftrag zurück.

3.1 Nicht zu verantworten ist seit Jahren der Umgang der Kirche mit dem ihr anvertrauten Geld. Die vom Finanzreferenten Jahr für Jahr angemahnte Klärung der Prioritätenfrage zu einer hinsichtlich des Haushalts „zeit- und sachgemäßen Erfüllung des Auftrags der Kirche“ (KVerf) blieb folgenlos. Ein solchermaßen ungezielter Einsatz kirchlicher Mittel entspricht nicht einer verantwortungsvollen Haushalterschaft.

3.2 Auf den Weg der Desorientierung begibt sich eine Kirche, welche die biblisch fundierte Ordnung kirchlichen Lebens außer Kraft setzt und an deren Stelle theologisch vage und zum Teil unbiblische „Leitlinien“ mit unverbindlichem Charakter setzt. „Mangelnde Klarheit begünstigt unnötige Konflikte“ (Bischof Knuth).

3.3 Grob vernachlässigt erscheint uns der Auftrag zur „geschwisterlichen Gemeinschaft im Gebet“(KVerf Art 1). Gewiss, in der Liturgie des Gottesdienstes und anderer Anlässe ist es verankert. Aber wie steht es mit dem gemeinsamen betenden Ringen um Klärung schwieriger geistlicher Fragen in Arbeitssitzungen und konkreten Konfliktsituationen? Wird über die Themen der kirchlichen Tagesordnung gebetet? Wie steht es etwa angesichts der Scheidungen von Pfarrerinnen und Pfarrern – auf dem statistisch nahezu gleich hohen Niveau wie dem der Gesamtgesellschaft – um die Seelsorge an Seelsorgern und um den Ordo der Ordinierten? Wo ereignet sich das zweckfreie Verweilen über der Heiligen Schrift und der gemeinsame brüderliche Austausch bei den Verantwortungsträgern der Kirche? Wo wird noch die Priorität apostolischer Existenz darin gesehen: „…. wir wollen uns ganz dem Gebet und dem Dienst am Wort widmen“ (Apg 6,3)?

Wir verkennen nicht das pragmatische Bemühen und die hohe Arbeitsleistung der Verantwortungsträger. Die finanziellen und personellen Ressourcen der Kirche sehen wir jedoch teilweise nicht aufgabengerecht eingesetzt. Gemessen an dem Prinzip geistlicher Haushalterschaft sehen wir unsere Kirche gegenwärtig weithin veruntreut. Das erklärt ihren anhaltenden Reformstau, ihre geringe prophetische Wirksamkeit und ihre geringe missionarische Kraft.

Dass sich dennoch immer wieder da und dort geistliche Aufbrüche auch im Raum unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche ereignen, nehmen wir mit großer Freude und Dankbarkeit wahr.

In verfassungsmäßiger Mitverantwortung für die rechte Lehre und für die zeit- und sachgemäße Erfüllung des Auftrages der Kirche beraten und einmütig verabschiedet

 

Nürnberg, 30. Januar 2005